Kili no Brasil

Friday, October 06, 2006

STICHWAHL IN BRASILIEN

Lula und die 40 Räuber

Von Jens Glüsing, Rio de Janeiro

Als haushoher Favorit ging Amtsinhaber Lula in die Präsidentenwahl in Brasilien. Doch der charismatische Sozialist bekam die Quittung für die zahlreichen Korruptionsaffären in seiner Regierung. Nun muss der einstige sozialistische Hoffnungsträger in die Stichwahl.
Rio de Janeiro - Die größte Demokratie Lateinamerikas war auf einen geruhsamen Fernsehabend eingestellt: Volksliebling Luis Inacio Lula da Silva werde mit einer absoluten Mehrheit für weitere vier Jahre als Präsident bestätigt, hatten die meisten Umfrageinstitute prophezeit, eine Stichwahl galt als so gut wie ausgeschlossen.


AP
Lula: Schlammschlacht vor der Stichwahl
Doch die Auszählung wurde zum Wahlkrimi. Bis nach Mitternacht dauerte die Zitterpartie, dann stand fest: Lula hat die absolute Mehrheit knapp verfehlt, er muss sich in vier Wochen dem Sozialdemokraten Geraldo Alckmin in der Stichwahl stellen. Lula hat 48,6 Prozent erzielt, Alckmin wählten 41,63 Prozent.
Ein leerer Stuhl und ein Berg von Geld sind schuld, dass Lula seine Wiederwahl im ersten Anlauf verfehlte: Der leere Stuhl, mit einem Namensschild des Präsidenten versehen, symbolisierte seine Abwesenheit bei der letzten und wichtigsten Fernsehdebatte, nur drei Tage vor dem Wahltag. Lula fürchtete offenbar die Attacken seiner Widersacher wegen der zahlreichen Korruptionsaffären in seiner Regierung und drückte sich deshalb um die TV-Diskussion. Das haben ihm viele Anhänger nicht verziehen.
Der Batzen Geld - 1,7 Millionen Real (rund 600.000 Euro) in kleinen Scheinen - steht für den vorerst letzten Skandal in der Umgebung des Präsidenten: Funktionäre der Regierungspartei PT und Mitarbeiter des Staatschefs wollten mit diesem Geld ein Dossier mit offenbar gefälschten Anschuldigungen gegen wichtige Oppositionspolitiker kaufen. Ein Informant hatte Videoaufnahmen der beschlagnahmten Geldscheine wenige Tage vor der Wahl an die Presse lanciert.
Der Streit um den Mammon illustriert den moralischen Niedergang dieser Regierung: Bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren hatte Lula versprochen, er würde den allgegenwärtigen Korruptionssumpf in Brasilien trockenlegen. Im Kongress säßen "300 Gauner" hatte er damals getönt.
Der blasse Ex-Gouverneur ist der eigentliche Sieger
Jetzt stellt sich heraus, dass sich vor allem die Regierungspartei PT schmutziger Tricks bedient hat, um sich die Mehrheit im Parlament zu sichern. Brasilien werde von "Ali Baba und den 40 Räubern" regiert, attackierte Oppositionskandidat Geraldo Alckmin von den Sozialdemokraten Volksliebling Lula im Wahlkampf.
Der blasse Ex-Gouverneur von Sao Paulo ist der eigentliche Sieger der ersten Runde. Kaum jemand hatte ihm zugetraut, dass er den charismatischen Lula in eine Stichwahl zwingen könnte. Als "Kandidat des Chuchu" wurde Alckmin im Wahlkampf verspottet: Chuchu (sprich: Schuschu) ist ein fade schmeckendes grünes Gemüse in Birnenform, das in Restaurants als billige Sättigungsbeilage gereicht wird.
Bis vor zwei Wochen betrug der Abstand zwischen Lula und Alckmin in den Umfragen noch rund 20 Prozent. Jetzt ist die Distanz auf rund sieben Punkte zusammengeschmolzen, Lula hat die Aura des Unbezwingbaren verloren. "Seine Majestät der Bärtige", wie die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Heloisa Helena ihn nur nennt, ist entzaubert: Obwohl er als Favorit in die zweite Runde geht, ist sein Sieg längst nicht sicher. Alckmin will Lula mit einer "Allianz der Moral" aus dem Amt jagen, er zielt auf Lulas größte Schwäche: Die weit verbreitete Korruption.
Gefahr droht dem Präsidenten vor allem von links: Mit seiner stramm orthodoxen Wirtschaftspolitik und der ruchlosen Korruptionskungelei hat er viele einstige Anhänger verprellt, als Präsident ist der einstige Gewerkschaftsführer immer weiter nach rechts gerückt. Viele enttäuschte ehemalige PT-Anhänger haben deshalb für Heloisa Helena gestimmt, eine ehemalige Lula-Getreue. Sie war vor vier Jahren aus der PT ausgeschlossen worden, weil sie Lulas liberalen Wirtschaftskurs attackiert hatte.
Jetzt muss Lula einen politischen Spagat vollbringen: Er will die Abtrünnigen zurückgewinnen, ohne seine Wähler in der Mittelschicht zu verprellen. Heloisa Helena hat durchblicken lassen, dass sie keine Wahlempfehlung aussprechen wird, der Macchiavellist Lula hat die Idealistin zu sehr verbittert.
Im Wahlkampf droht deshalb eine Schlammschlacht: Alckmin wird versuchen, Lula mit neuen Korruptionsvorwürfen zu bombardieren; der angeschlagene Volkstribun wird sich mit neuen Attacken gegen die "undankbare Elite" zur Wehr setzen. Der "Vater der Armen", wie er sich gern tituliert, wird wohl noch unverhüllter seinem Hang zum Messianismus frönen: Der einstige Gewerkschaftsführer fühlt sich von der "Elite" verraten, er sieht sich als Opfer einer Kampagne der Medien. Immer öfter bemüht er religiöse Metaphern, jüngst verglich er sich sogar mit Jesus.
Tatsächlich zeugt das Wahlergebnis von einer zunehmenden politischen und regionalen Kluft zwischen Arm und Reich: Im armen Norden und Nordosten hat Lula die absolute Mehrheit errungen, in einigen Bundesstaaten sogar über 70 Prozent. Die Mittelschicht im höher entwickelten, industrialisierten Südosten und Süden hat dagegen weitgehend für Alckmin gestimmt. "Das Land ist in der Mitte zerrissen", schreibt die Kolumnistin Tereza Cruvinel in der Zeitung "O Globo". In Brasilien bestätigt sich damit ein Trend, der sich auch bei den Wahlen in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern abzeichnet: Der Kontinent zerfällt nicht in Linke und Rechte, sondern in Arme und Reiche.

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